: Dortmunder Solidaritätskaraoke
Clubführung und Fanabteilung des BVB beschwören beim 3:0-Erfolg gegen Mainz das schwarz-gelbe Zusammengehörigkeitsgefühl. Doch die Inszenierung in schwierigen Zeiten geht irgendwie schief
AUS DORTMUNDULRICH HESSE-LICHTENBERGER
Die Tore fielen in der 28., 54. und 74. Minute des Spiels, doch von größerer Bedeutung war ein ganz anderer Moment der Bundesligapartie zwischen Borussia Dortmund und dem FSV Mainz 05. Oder vielleicht muss man sagen: Er hätte es sein sollen. Denn wie so vieles, was man beim BVB in den letzten Wochen und Monaten, gar Jahren, so plant, war auch die groß angelegte Solidaritätsaktion der Fanabteilung gut gemeint, ging aber trotzdem irgendwie schief.
„Helft mit, ein Zusammengehörigkeitsgefühl wieder zu beleben, das seit langer Zeit verloren scheint“, hatten die organisierten Anhänger der Borussia jeden Freund des Vereins aufgerufen. „Lasst uns in diesem Sinne im Stadion, vor den Fernsehern und in den Kneipen gemeinsam unser Vereinslied singen.“ Das sollte während der neunten Minute der Begegnung geschehen, was der liebenswerte Fanbeauftragte der Borussia, Alfred „Aki“ Schmidt, vor dem Anpfiff als Aktion bezeichnete, „die einmalig in Europa ist“.
Und so fieberten etwa 73.500 Menschen im Dortmunder Westfalenstadion (abzüglich der erstaunlich zahlreichen Mainzer Fans) während der Anfangsphase diesem Augenblick entgegen und wohl auch die Berufsfußballer des Klubs, denn die begannen die Begegnung, als wollten sie sie schon vor dem Massenchoral entschieden wissen. „Wir haben sehr aggressiv angefangen“, lobte Trainer Bert van Marwijk später. „Dann bekamen wir allerdings ein paar Probleme.“ Das kann man so sagen. Als acht Minuten gespielt waren, wurden die ersten Menschen auf der wie immer gut gefüllten Südtribüne unruhig, denn der angekündigte Countdown zum Singen ließ auf sich warten. Dass dies passieren würde, war abzusehen gewesen, denn selbst geübte Statistiker vergessen manchmal, dass ein Spiel nicht mit der nullten Minute beginnt. Als die Anzeige der Spielzeit also auf „9“ umsprang und die ersten Takte des Vereinsliedes ertönten, befand sich die Bundesliga-Partie bereits in der zehnten Spielminute.
Das größere Problem hingegen ergab sich aus dem Lied selbst. Es ist 95 Jahre alt, enthält Ausdrücke wie „Fußballflöte“ (gemeint ist die Pfeife des Schiedsrichters) sowie den Refrain „Ball-Heil-Hurra, Borussia!“ Bis die noch junge Fanabteilung den Klub bat, es vor den Heimpartien zu spielen, wurde es eigentlich nur auf Jahreshauptversammlungen vorgetragen. Kurz gesagt: „Heja BVB“ oder selbst „You‘ll never walk alone“ hätten das Stadion zum Beben gebracht, aber „Wir halten fest und treu zusammen“ wurde eine Dortmunder Karaoke-Veranstaltung der unangenehm mühsamen Art.
Die Spieler des BVB brauchten eine mit schauderhaftem Fußball gefüllte Viertelstunde, um sich von diesem akustischen Nackenschlag zu erholen. Dann bekam Jan Koller eine von seinen sechs Großchancen, lieferte einen von Borussias drei Pfosten- oder Lattentreffern ab und in der Begegnung stellte sich die Frage, was die Mainzer mit dem Satz aus dem BVB-Lied anzufangen wussten, der besagt: „Zum Wettspiel sind wir stets bereit, verteidigen unser Tor.“ Dreimal missriet ihnen dieses Unterfangen, womit am Ende alle Beteiligten zufrieden sein konnten. Die Mainzer, weil sie in den Worten ihres Trainers Jürgen Klopp „froh sein müssen, dass das Ergebnis nicht noch höher ausfiel“. Die Dortmunder, weil wie Lars Ricken sagte „es schön ist, nach einem Spiel wie dem bei Bayern [0:5] zurück zu kommen und einen Sieg nach Hause zu fahren.“
Jener Ricken war an Ebi Smolareks 1:0 und Kollers 2:0 beteiligt gewesen, bevor er selbst mit einem feinen Schuss den Endstand herstellte. Das war nun vom Schicksal wieder hübsch eingefädelt, denn Ricken wurde 1976, als der BVB in die Bundesliga zurückkehrte, im Dortmunder Stadtteil Eving geboren. Er und Sportdirektor Michael Zorc, auch ein Evinger, könnten sogar das Vereinslied kennen. Dessen zweite Zeile lautet: „Wir haben stets einen heiteren Sinn, sind lustig, nie verzagt.“ Ganz in diesem Sinne sagte Zorc: „Mit dem Abstieg haben wir nach den Ergebnissen von heute wohl nichts mehr zu tun.“ Zumindest nicht mit einem Abstieg auf Grund der Tabelle.